Die besten Rückenübungen: schmerzfrei durch Neuroathletik

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Rückenübungen: Rückenbeschwerden gehören zu deinem Alltag? Yassin Jebrini zeigt auf, warum wir die klassischen Behandlungsstrategien um einen neurozentrierten Ansatz erweitern sollten und welche Übungen sich zur Kräftigung des Rückens besonders eignen.

Inhaltsverzeichnis

  1. Volkskrankheit Rückenschmerzen
  2. Mythos 1: Aufrechtes Sitzen
  3. Mythos 2: Die perfekte Hebebewegung
  4. Warum helfen herkömmliche Rückenübungen nur begrenzt?
  5. Was sind die besten Rückenübungen?
  6. Die richtige Ausführung der Rückenübungen
  7. Fazit

Volkskrankheit Rückenschmerzen

Rückenschmerzen sind eine der häufigsten Ursachen für langwierigen Arbeitsausfall und eines der größten Probleme im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Aktuellen Umfragen zufolge klagen bis zu 35 Prozent der deutschen Bevölkerung über Rückenprobleme. Diese Beschwerden haben oft eine steigende Medikamenteneinnahme, häufige Arztwechsel, eine zunehmende Vermeidung körperlicher Bewegung und eine damit einhergehende unterdurchschnittliche Beanspruchung des muskuloskelettalen Systems zur Folge. Aufgrund der geringen Effekte der oft angewendeten Behandlungsstrategien stellt sich bei vielen Menschen Resignation ein, auch weil sich die Linderung der Rückenbeschwerden als langwierig und schwierig herausgestellt hat.

Das Ziel dieses Artikels ist es, zwei hartnäckige Mythen rund um das Thema „Rückenbeschwerden“ aufzudecken, um in einem zweiten Schritt Übungen und Methoden vorzustellen, die die klassischen, häufig schon getesteten und für ungenügend erklärten Strategien zur Stärkung des Rückens maßgeblich erweitern. Dabei sollte klar sein, dass die im Rahmen dieses Artikels gegebenen Tipps den Arztbesuch nicht ersetzen. Wer unter Rückenschmerzen leidet, sollte abklären, ob sie eine organische Ursache haben oder auch psychosozial bedingt sein können.

Mythos 1: Aufrechtes Sitzen

Aufrechtes Sitzen ist der wohl am häufigsten wiederholte Ratschlag zur Gesunderhaltung des Rückens. Dabei ignoriert dieser Tipp völlig die Vorstellung von der grundlegenden statischen und dynamischen physiologischen Natur des menschlichen Rückens. Fakt ist: Die richtige Sitzhaltung bei längerem Sitzen ist eine variable Haltung. Am besten ist es, in Intervallen zu sitzen sowie die Position und auch die Sitzgelegenheit in regelmäßigen Abständen zu wechseln. Während eines Arbeitstages am Laptop empfiehlt es sich, mindestens drei verschiedene Positionen einzunehmen, z. B. auf dem normalen Schreibtischstuhl, auf einem Gymnastikball und am Stehtisch. Alle drei haben Vor- und Nachteile, aber ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen kann dazu beitragen, die Rückenschmerzen zu verringern, die durch eine einzelne oder statische Haltung hervorgerufen werden.

Mythos 2: Die perfekte Hebebewegung

Ebenso oft, wie wir ermahnt wurden, aufrecht zu sitzen, hat man uns auch dazu angehalten, jede erdenkliche Last stets mit geradem – und nur mit geradem – Rücken anzuheben. Doch die optimale Hebetechnik im Alltag gibt es nicht! Fakt ist: Grundsätzlich kommt es bei allen Hebetechniken zu einer Belastung der Wirbelsäule, wobei sich für jede Technik jeweils verschiedene biomechanische Vor- und Nachteile finden lassen. Beim Heben mit rundem Rücken etwa sind der Energieverbrauch, die Atemfrequenz und die Herzfrequenz geringer als beim Heben mit geradem Rücken aus der Hocke. Beim Heben mit geradem Rücken aus den Beinen kommt es zu einer höheren Aktivierung des Quadrizeps.

Insgesamt ist das Heben mit geradem Rücken im Vergleich zum Heben mit rundem Rücken aber von einer schlechteren neuromuskulären Effizienz gekennzeichnet. Die Wahl der passenden Hebetechnik hängt von verschiedenen Faktoren ab, z. B. der Biomechanik, der individuellen Belastungstoleranz und dem Schmerzempfinden. Häufig sind gerade Mischformen wie die Semi-Squat-Technik am ausgeglichensten und praktikabelsten. Wie immer macht aber auch hier die Dosis das Gift. Wichtig ist, dass wir unser Schwarz-Weiß-Denken ablegen und nicht immer das eine für gut und das andere für schlecht halten.

Warum helfen herkömmliche Rückenübungen nur begrenzt?

Den meisten Trainingsansätzen und Rückenübungen fehlt der entscheidende Teil zur Steuerung von Bewegungen – die Fokussierung auf das zentrale Nervensystem. Wir wissen heute mehr als jemals zuvor über die neurologischen Prozesse, die jeder Bewegung zugrunde liegen, und können diese zielorientiert nutzen. Warum sollen wir uns weiterhin bei der Behandlung von Rückenbeschwerden primär mit den ausführenden Strukturen beschäftigen, wenn wir die steuernden Instanzen gezielt ins Training integrieren und Probleme schneller lösen können? Anstatt uns nur noch die Wirbelsäule anzuschauen, können wir den Fokus auf die Systeme legen, die primär für die Stabilisierung der Wirbelsäule verantwortlich sind.

Schließlich ist die Stabilisierung des Rückens nichts, worüber wir aktiv Tag und Nacht nachdenken können, sondern etwas, das reflektorisch passiert und dementsprechend auch so trainiert werden muss. Wenn nun ein sogenannter Gesundheitsapostel ins Büro kommt und der Belegschaft eines Unternehmens erklärt, wie man sitzen soll, werden die Mitarbeiter diese Tipps nur so lange umsetzen, wie sie sich darauf konzentrieren. Viel effizienter scheint es doch zu sein, sich mit dem Kleinhirn, dem Hirnstamm und der Atmung zu beschäftigen, die als übergeordnete Instanzen und Mechanismen maßgeblich an der Stabilität und Flexibilität des Rückens beteiligt sind.

Was sind die besten Rückenübungen?

Aus diesem Grund werden im Folgenden fünf Performance-Übungen vorgestellt, die bei einem langfristigen, progressiven Belastungsaufbau funktionelle und strukturelle Anpassungen hervorrufen und den Rücken maßgeblich stabilisieren.

Zwerchfellatmung

Die Zwerchfellatmung versorgt unseren Körper optimal mit Sauerstoff und Energie. Dabei hebt sich der Bauch bei der Einatmung und senkt sich bei der Ausatmung. Suboptimale Atemmuster hingegen führen zu einer flachen Atmung und können sich negativ auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit auswirken. Viele Menschen atmen falsch, weil sie sich aufgrund von Erkältungen, Rippenprellungen, Brüchen oder anderen Verletzungen schlechte Atemmuster angewöhnt haben. Für eine gute Haltung ist es wichtig, dass wir in den Bauch atmen können!

Seitliche Utriculus-Aktivierung

Unser Gleichgewichtssystem liefert sensorische Informationen und hilft uns maßgeblich bei der reflektorischen Stabilisierung unseres Körpers bei Bewegungen. Es misst lineare und rotierende Beschleunigungen des Kopfes und des Körpers und sagt uns, wo oben und unten ist und in welche Richtung wir uns bewegen. Der Utriculus ist dabei der Sensor unseres Gleichgewichtsorgans, der die horizontale Beschleunigung misst. Fälschlicherweise konzentrieren sich die meisten Menschen beim Gleichgewichtstraining nur auf instabile Oberflächen. Um das Gleichgewicht aber gezielt zu trainieren, müssen wir den Kopf oder den gesamten Körper beschleunigen

Augenliegestütze

Sensorische Informationen unseres visuellen Systems helfen uns, unsere Umgebung wahrzunehmen. Je besser dabei unsere Sehschärfe ist, desto besser können wir uns auch bewegen und stabilisieren. Wir sprechen hier über Genauigkeit, Interpretation und Reaktionszeit. Augenliegestütze sind dabei eine hervorragende Möglichkeit, das synchrone Kreuzen und anschließende Auseinanderführen der Augen zu trainieren. Der dafür zuständige Augenmuskel wird vom dritten Hirnnerv innerviert, der das Mittelhirn stimuliert und dadurch die Stabilität im Bereich der Halswirbelsäule erhöht. Wenn wir unser Sehvermögen nicht trainieren, lassen wir ein großes Potenzial brachliegen, um Rückenbeschwerden zu lindern.

Around the World

Entscheidend für Bewegungen sind die sensorischen Informationen unserer Bewegungsrezeptoren – also das, was wir durch Empfindung und Bewegung „fühlen“. Diese bewegungswahrnehmenden Rezeptoren helfen uns dabei zu spüren, wo wir uns befinden und wie gut wir uns bewegen. Die Konzentration im Training liegt hier auf der motorischen Kontrolle durch eine volle, aktive Bewegungsamplitude, bei der möglichst viele Bewegungsrezeptoren aktiviert werden. Hierunter fallen alle möglichen Mobilisationsübungen für die Wirbelsäule.

Infinity Walk

Die vorgestellten Leistungskonzepte müssen optimal in alltagsrelevante Herausforderungen integriert werden können. Wir müssen in der Lage sein, gut zu atmen, gut zu sehen, gut zu balancieren, uns gut zu bewegen und dies auf verschiedenste Weise miteinander zu verbinden, um uns auf die alltäglichen Herausforderungen vorzubereiten. Daher ist die Steigerung der Bewegungskomplexität mit einer Vielzahl von Belastungen oder Variablen für jedes einzelne therapeutische Szenario unerlässlich.

Die Rückenübungen – so führst du sie richtig aus

Zwerchfellatmung

Beuge im aufrechten Stand leicht deine Knie. Kippe nun das Becken nach hinten und atme tief in den Bauch. Atme anschließend durch den Hals und Rachen geräuschvoll wieder aus.

seitliche Utriculus-Aktivierung

Gehe nach Einnahme eines breiten Stands leicht in die Knie. Dein Blick richtet sich nun auf einen Marker an der Wand. Anschließend bewegst du deinen Körper seitlich von links nach rechts auf einer Linie hin und her, ohne dass die Beine den Boden verlassen. Die Augen fokussieren weiterhin das Ziel. Es geht darum, den Kopf seitlich zu beschleunigen. Auf diese Weise sprechen wir im Hirnstamm die Bereiche an, die mit reflektorischer Stabilität und der Muskeltonusregulation zu tun haben.

Augenliegestütze

Führe einen Kugelschreiber mit einem klar erkennbaren Logo auf direktem Weg vom gestreckten Arm langsam zur Nasenspitze und zurück in die Ausgangsposition. Die Augen sollten dem Stift folgen, ohne dass sich der Kopf bewegt. Hierbei kommt es zu einer maximalen Konvergenz der Augen, vergleichbar mit dem „perfekten Schielen“. Das Ziel darf in der Nahdistanz unscharf werden. Tränende Augen, Schwindel und Übelkeit sollten nicht auftreten.

around the world

Nimm einen hüft- bis schulterbreiten Stand ein und strecke die Beine. Neige den Oberkörper so weit es geht nach links und wandere mit den Armen die Beinaußenseite entlang. Rotiere mit herabgesenkten Armen von der Seite über die Füße ganz auf die rechte Seite. Führe deinen Oberkörper mit gestreckten Armen nun von rechts über die Außenseite bis in die vollständige Streckung nach oben. Nach mehreren Durchläufen sollte die Richtung der Bewegungsausführung gewechselt werden.

infinity walk

Laufe in Form einer Acht um zwei ca. 10 Meter voneinander aufgestellte Gegenstände. Blicke dabei fokussiert auf ein externes Ziel, das sich ungefähr in gleichen Abständen zu den Gegenständen befindet. Die Hüfte zeigt immer in Laufrichtung. Geschult wird somit insbesondere das periphere Sehen bei Bewegungen.

Fazit

Bettruhe, Ergotherapie, Akupunktur, Entspannungstechniken, Massage, Wärmetherapie, Lasertherapie, entzündungshemmende Medikamente, Magnetfeldtherapie – die Erfolge dieser Behandlungsansätze sind wenig befriedigend, da sie einerseits die Möglichkeiten aktiven, eigenverantwortlichen Handelns der Menschen nicht nutzen und andererseits die Ursachen von Rückenschmerzen sehr unterschiedlich sind. In nur weniger als 10 Prozent der Fälle kann ein organischer Befund die beklagten Ursachen hinreichend erklären. Viel häufiger sind sie Ausdruck körperlicher Stresssymptome, die den Menschen meist gar nicht bewusst sind. Wer Rückenschmerzen hat, sollte körperlich aktiv bleiben und es vermeiden, sich körperlich zu schonen. Tägliche Betätigungen sollten möglichst bald wieder aufgenommen werden. Damit dies gelingt und präventiv auch für die Zukunft vorgesorgt wird, sollten die vorgestellten neurozentrierten Performance-Übungen regelmäßig durchgeführt werden. Diese Übungen sind sehr effektiv, da sie die Schmerzstärke, das subjektive Beeinträchtigungserleben und das Ausmaß der Bewegungseinschränkungen signifikant verbessern können.

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Autor: Yassin Jebrini

Der Sportwissenschaftler M.A. und Z-Health-Absolvent arbeitet als Neuroathletiktrainer mit Profi- und Freizeitsportlern. Zusätzlich ist er als Referent tätig und bildet Trainer in Neuroathletik aus.

www.jebrini-training.de

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Über den Autor

Yassin Jebrini

Yassin Jebrini ist Sportwissenschaftler (M.A.), Personal- und Neuro-Athletik-Trainer in Köln.

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