Das vegetative Nervensystem (VNS) steuert einen Großteil der Körperfunktionen und lässt sich in zwei Subeinheiten untergliedern. Der Sympathikus ist für Reaktionen wie Kampf oder Flucht verantwortlich, während der Parasympathikus für Ruhe, Verdauung und Regeneration zuständig ist, also Funktionen, die einsetzen, wenn der Körper entspannt ist. Es gibt noch eine dritte Einheit, das enterische System, das Ihren Darm mit einem verzweigten Nervennetz umgibt und das sehr empfindlich auf die Signale reagiert, die es vom Rest des Körpers erhält.
In unserer heutigen, schnelllebigen Gesellschaft sind wir praktisch ständig von digitalen Medien, Stress und Koffein umgeben, die zu flachem Atmen führen. Die Entscheidung zwischen Kampf oder Flucht ist für uns gewissermaßen zum Dauerzustand geworden. Wenn man nun noch bedenkt, wie hoch die zusätzlichen Belastungen für Leistungssportler und Soldaten im Kampfeinsatz sind, erkennt man schnell, dass der Sympathikus ständig überreizt ist. Das ist allerdings nicht erstrebenswert. Kampf oder Flucht dienten ursprünglich dem Überleben und waren nie als dauerhafter Lebensstil gedacht. Diese permanente Alarmbereitschaft lässt sich nicht ohne Nebenwirkungen aufrechterhalten. Vor allem stimuliert sie die Hypophyse und setzt das Stresshormon Cortisol frei, das entzündungsfördernd wirkt und damit einen echten Nachteil für die physische und psychische Leistungsfähigkeit darstellt.
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Gleichgewicht für das vegetative Nervensystem
Um den ganzen Tag hindurch volle Leistung bringen zu können, ist es wichtig, das vegetative Nervensystem im Gleichgewicht zu halten. Das erreichen wir durch richtiges Atmen, Schlafen und Essen. Wir kontrollieren unsere Energie und innere Einstellung den ganzen Tag hindurch, reagieren nur dann mit einer »Kampf oder Flucht«-Haltung, wenn es absolut nötig ist, und kehren möglichst schnell wieder zum parasympathischen Zustand der Entspannung zurück, damit sich der Körper weiter erholen kann. Im Laufe des Tages lassen sich immer wieder Atemtechniken anwenden, um diesen Zustand zu erreichen. Versuchen Sie sich an einen gleichmäßigen Rhythmus zu halten. Eine Sequenz von 6-4-10 bedeutet zum Beispiel sechs Sekunden einatmen, vier Sekunden halten und zehn Sekunden ausatmen. Sie werden das am Anfang üben müssen.
Länger Einatmen oder Ausatmen?
Fangen Sie mit dem schnelleren Tempo von 4-2-6 an, das weitgehend denselben Effekt hat. Das Ziel ist es in beiden Fällen, länger aus- als einzuatmen. Etwas leichter fällt einem dies in der Regel, nachdem man sich im Rahmen eines Spiels, eines Trainings oder Workouts verausgabt hat. Der dahinterstehende Gedanke ist, dass durch ein längeres Ausatmen die parasympathischen Neuronen aktiviert werden. Da zwischen vier und fünf Uhr morgens am meisten Cortisol ausgeschüttet wird, ist der sympathische Tonus dann auch ziemlich hoch. Wenn Sie aufwachen und sich erschöpft oder müde fühlen, versuchen Sie, die Sequenz 6-4-10, um wieder zur Ruhe zu kommen, oder atmen Sie scharf ein und aus, um schnell wach zu werden. Wenn Sie aber müde sind und noch einmal wegdösen, läuft Ihr Gehirn weiterhin auf Deltaoder Theta-Wellen und diese verursachen eine Trägheit, die Sie den ganzen Tag über nicht los werden. In diesem Fall sollten Sie ein oder zwei Minuten lang im Tempo 6-2-X atmen, um die Lebensgeister zu wecken und energisch in den Tag zu starten. Das X steht für möglichst schnell, es handelt sich also um ein explosives Ausatmen, mit dem Sie sich »schlechter« alter Luft entledigen und das Ihnen dabei hilft, beim nächsten Einatmen den Brustkorb zu weiten. Schwimmer und Boxer benutzen ein solches stoßartiges Ausatmen, um ihren Bewegungen mehr Dynamik zu verleihen, da das Zwerchfell der größte Muskel im Körper ist. Atmen kann Ihnen auch dabei helfen, sich aufzustacheln und zu motivieren. In diesem Zusammenhang können Sie einmal 4-0-X ausprobieren, um Ihrem Körper mehr Sauerstoff zuzuführen, beispielsweise wenn Sie sich auf ein Workout einstimmen oder am Ende der Trainingseinheit Ihre Reserven mobilisieren wollen, weil dadurch Ihre Muskeln besser mit Sauerstoff versorgt werden. Im Laufe des Tages wirken die Schemata 4-2-6 und 6-4-10 beruhigend auf das Nervensystem, so dass Sie sich besser entspannen können und Stress reduzieren.
Ruhe und Verdauung
Der Modus von »Ruhe und Verdauung« ist auch vor den Mahlzeiten wichtig. Indem Sie Ihr Atemtempo kontrollieren, werden Sie bei der Nahrungsaufnahme achtsamer, die Durchblutung Ihres Darms ändert sich, die Säurebildung nimmt ab und Ihr Körper bereitet sich auf die anstehende Verdauungstätigkeit vor. Wenn Sie abends ins Bett gehen, den Tag Revue passieren lassen und sich dafür bedanken, sollten Sie die Schemata 4-2-6 oder 6-4-10 verwenden, um Unruhezustände abzubauen und sich auf den Schlaf vorzubereiten. Diese Techniken sollten Ihnen auch helfen, falls Sie gegen 4 Uhr morgens aufwachen, sobald das Cortisol zu steigen beginnt. So schlafen Sie leichter wieder ein. Sie können die beiden letztgenannten Schemata auch im Mannschaftsbus auf dem Weg zum Spiel verwenden – auf diese Weise bleiben Sie so lange wie möglich entspannt, bevor die Aufregung vor dem Einsatz das Cortisol sprunghaft steigen lässt.
Autor: Mark Verstegen – Jeder Tag zählt