Belastung, Risiken und Verletzungen beim Klettern und Bouldern

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Verletzungen beim Klettern und Bouldern vermeiden: Was wir heute mit Bouldern, Schwierigkeitsklettern oder Speedklettern als Disziplinen einer modernen Sportart praktizieren, ist eine der ältesten Bewegungsformen des Menschen. Klettern ist seit jeher eine natürliche Art der Fortbewegung. Neugier, Abenteuersinn und Leidenschaft haben sie weiterentwickelt. Von Bernd Bachfischer.

Belastung, Risiken und Verletzungen beim Klettern und Bouldern

Heute ist Klettern eine Lebenseinstellung, eine Philosophie, sich mit sich selbst und der Umwelt zu befassen und ihr zu begegnen. Heute identifizieren sich Kletterer und Boulderer über ihre Sportart. Es hat sich viel getan und es scheint, als wären wir noch längst nicht am Ende des Weges angekommen. Für eine umfassende Sportartanalyse müssen wir nicht nur die positiven Seiten unter die Lupe nehmen, sondern auch die Verletzungsstatistik.

Woher stammen die meisten Schmerzzustände und Verletzungen beim Klettern?

Man vermutet natürlich richtig, dass viele Verletzungen beim Klettern und schmerzbedingte Pausen aus kleineren bis größeren Unfällen stammen. Kontrollierte und unkontrollierte Stürze ins Seil oder auf die Absprungmatte sind beim entwicklungsmotivierten Klettern ebenso an der Tagesordnung wie ein schmerzhafter Zweikampf beim Fuß- oder Handballer. In den vielen Gesprächen mit Kletter- und Boulderathleten, mit Betreuern, Trainern und Coaches fällt jedoch eines auf: Klettern ist eine Sportart, in der sehr viele Schmerzsymptome spontan aus dem Training entstehen, also ohne Unfallhergang.

Du bist bestimmt selbst im Klettern unterwegs – daher frage ich dich, ob du einen Kletterkollegen hast, den es ab und an in der Schulter oder im Rücken zwickt, der nach dem Training Probleme mit dem Ellbogen oder der Leiste hat? Das ist natürlich eine rhetorische Frage, denn seien wir mal ehrlich: Jeder hat so einen Kumpel in seinen Reihen.

Anhand der Häufigkeit von trainingsbedingten Schmerzsymptomen dürfen wir uns fragen, ob das Verständnis von Belastung und Belastbarkeit beim Klettern adäquat berücksichtigt wird. Wie häufig treten bei verschiedenen Klettersportlern gleiche Schmerzmuster auf? Und können wir analytisch daraus Körperregionen definieren, die es besonders zu behandeln oder zu trainieren gilt? Mit anderen Worten: Gibt es Verletzungen beim Klettern, deren Risiko wir durch fokussiertes Training bestimmter Muskeln verhindern können?

Verletzungen beim Klettern: Belastungsregion Oberkörper

Die Praxis zeigt, dass sich im Klettersport die meisten Schmerzregionen im Oberkörper, in Armen und Hände schleichend manifestieren. Aus Sicht des klettertypischen Belastungsprofils ist die Symptomdominanz im Oberkörper nicht verwunderlich.

Die Beine machen beim Klettern motorisch nicht viel anderes als im Alltag: Wir sind es gewohnt, Treppen wechselseitig nach oben zu steigen. Es fällt uns nicht sonderlich schwer, und wir müssen uns beim Klettern nicht groß umstellen.

Ungewohnt hohe Schultergelenkspositionen

Anders sieht es jedoch bei Belastungen und Aktionen im Oberkörper aus. Ich behaupte einfach mal, dass die wenigsten von uns ihren Alltag mit kräftigen Überkopf-Zugbelastungen verbringen. Wir sind es gewohnt, vor dem Körper unterhalb der Schultern oder maximal des Gesichtsfeldes mehr oder weniger kräftig zu agieren. Doch ist der Klettergurt angelegt oder das Crashpad positioniert, wirken intensive wie auch komplexe feinmotorische Belastungen in ungewohnt hohen Schultergelenkspositionen.

Alltag und Sportart zeigen hier viele signifikante Unterschiede. Woher soll unser Körper nun in Anbetracht seiner tagtäglichen mehrstündigen Arbeitszone auf Bauch- und Brusthöhe lernen, wie man sauber im Überkopfbereich arbeitet? Um vor allem in dieser Körperregion ungewollte Risiken und negative Belastungsspitzen zu vermeiden, müssen wir im Trainings- und Belastungsprozess den Gedanken der Gesunderhaltung vor das Ziel der sportlichen Leistungssteigerung stellen. Dein Training sollte dir zunächst eine sinnvolle Belastungsbasis schaffen, auf der du dein Leistungspotenzial unter gesundheitsrelevanten Aspekten aufbaust.

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Qualität vor Quantität beim Erarbeiten von Leistungsfähigkeit

verletzungen beim klettern

Schulterschmerzen sind unter Kletterern weit verbreitet. © baranq | shutterstock.com

Für sportliche Leistungsfähigkeit ist jedoch nicht nur die Kraftquantität ein entscheidender Faktor, sondern ebenso die Bewegungsqualität. Aus den Alltagsbelastungen lassen sich kaum Bewegungs- und Belastungsabläufe in die Kletterbewegungen übertragen. Verletzungen oder kompensationsbedingte Schmerzen treten nachgewiesen häufiger bei den Belastungen auf, die motorisch seltener und damit qualitativ unterentwickelt sind. Genau diese Lücken gilt es, durch ein gezieltes Training zu verringern oder zu
schließen.

Vor allem beim Bouldern – der maximalkräftigsten Variante des Kletterns – wirken in harten Kletterzügen oftmals maximale Kräfte. Das macht zum einen den sportlichen Reiz aus, birgt aber eben durch ungemein großen Stress auf den Körper hohes Verletzungspotenzial. Wir haben in den letzten Jahren aufgrund der körperlichen Reaktionen erkannt, dass wir unseren Körper oder Teile unseres Körpers auf klettertypische Belastungen vorbereiten müssen, damit sich dieser daran nicht abnutzt.

Trainingsentwicklung und das Erarbeiten eines neuen Schwierigkeitsgrades beim Klettern

Doch nicht nur zukünftige Trainingsentwicklungen wie das Erarbeiten eines neuen Schwierigkeitsgrades müssen auf entsprechende Belastungen ausgerichtet werden, auch vergangene Verletzungsprozesse und Faktoren prägen unsere aktuelle Leistungsfähigkeit. Wie du dich heute bewegen und belasten kannst, ist das Resultat eines Entwicklungsprozesses, der mit dem Bewegungslernen im Babyalter begonnen hat, deine kindliche Lern- und jugendliche Wachstumsphase durchlaufen und deine schulischen und beruflichen Alltagsgewohnheiten bis zum heutigen Tag definiert hat.

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Im motorischen Alltag laufen beim Erarbeiten von motorischen Lösungsstrategien viele Prozesse unbewusst und automatisch ab. Unser Körper hat beispielsweise viele Selbsterhaltungsprogramme, die verhindern sollen, dass er sich selbst zerstört. Eines dieser Programme ist die Fähigkeit zur Kompensation: Mit der Fülle und Anordnung unserer Muskeln ist es uns möglich, Bewegungen oder Aufgaben weiterhin auszuführen, obwohl der Körper verletzt oder geschwächt ist.

Wir verwenden unbewusst ein Alternativmuster, wenn die Bewegung über die Hauptmuskeln nicht umgesetzt werden kann. Wenn du dir bei einer Bergwanderung am Gipfelkreuz das Sprunggelenk verstauchst oder dir andere leichte Verletzungen beim Klettern zuziehst, heißt das ja nicht, dass du dort oben aufgrund fehlender Fortbewegungsmöglichkeit verhungern musst. Du würdest ein Gangmuster finden, welches das Sprunggelenk schont. Du würdest wahrscheinlich etwas unrunder als gewöhnlich gehen, das betroffene Bein passiver bewegen und dafür das nicht verletzte Bein mehr belasten.

Fazit

Kompensation ist als Selbsterhaltungsstrategie in der akuten Verletzungs- oder Schmerzsituation grundsätzlich wertvoll. Ein intensives und dauerhaftes Belasten in einem kompensatorischen Bewegungsmuster wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Schmerzsymptomatik enden. Das restlose Aufarbeiten und Austherapieren einer Verletzung ist aufgrund der Bewegungskomplexität und der langen aktiven Muskelkette von größter Bedeutung.

Autor: Bernd Bachfischer

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