Die Gesundheitsgefährdung des 21. Jahrhunderts: Die Stressforschung belegt aus wissenschaftlicher Sicht inzwischen eindrücklich die große Bedeutung, die Stress für jeden Einzelnen und die gesamte Gesellschaft hat – und das trifft auch Sportler.
Zahlreiche Untersuchungen von Krankenversicherungen und wissenschaftlichen Instituten zu psychischen Belastungen (insbesondere am Arbeitsplatz) sprechen eine eindeutige Sprache und sollten als Alarmsignal verstanden werden. Die Krankheitskosten, die durch psychische Belastungen und durch mit Stress zusammenhängenden Krankheiten entstehen, nehmen seit Jahren zu und sind enorm. Nicht ohne Grund beschreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) psychische Belastungen und beruflichen Stress als eine der größten Gefährdungen der Gesundheit des 21. Jahrhunderts.
Die „Stressfalle“ kann jeden betreffen – auch Sportler!
Diese Gefährdung bezieht sich dabei nicht nur auf wenige und ganz bestimmte Personengruppen. Aufgrund der besonderen Anforderungen in Privatleben und Beruf, die in der heutigen Zeit an die Menschen gestellt werden, sind inzwischen immer mehr Menschen von der „Stressfalle“ betroffen. Das trifft insbesondere auch auf Spitzen- und Leistungssportler zu.
Aufgrund der hohen Anforderungen in ihrem Sport in Kombination mit den zusätzlichen Belastungsfaktoren, die durch Privat- und Arbeitsleben, beziehungsweise Schule/Studium, hinzukommen können, müssen leistungsorientiert trainierende Sportler besonders achtsam auf ihr psychophysisches Gleichgewicht sein. Dieser Zusammenhang wird von Sportlern und Trainern anscheinend nicht immer hinreichend erkannt und anerkannt. Dies zeigen dann eindrücklich immer wieder Berichte in den Medien, wenn bekannte Persönlichkeiten aus dem Sport über ihre persönliche Belastungssituation und möglicherweise physische und/oder psychische Überforderung sprechen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem weiten Themenfeld „Stress“ ist also für Sportler und Trainer sehr wichtig. Leider ist eine umfassende Auseinandersetzung im Kontext Sport bisher noch nicht geschehen. Sie wird zudem auch dadurch erschwert, dass der Stressbegriff durch den schon fast inflationären Gebrauch heutzutage recht verwässert ist. (Stress im Sport – ein unterschätztes Problem)
Sportler und Trainer profitieren deshalb davon, wenn sie einige wichtige Grundkenntnisse der Sportpsychologie zur Stressthematik kennen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Daraus können sie wiederum Erkenntnisse ziehen, die dabei helfen, ihre Gesundheit, Trainings- und Wettkampfleistung weiter zu fördern und zu verbessern. Deswegen soll in diesem und den folgenden Artikeln der Klärung der Frage: „Stress, was hat es damit eigentlich auf sich?“ nachgegangen werden. Zum Themenfeld „Stress und Burnout“ erhält der Leser dabei wichtiges Grundlagenwissen, sodass er sich einen guten Ein- und Überblick über die Thematik verschaffen kann.
Stress ist hochkomplex und individuell
Grundlegend zum Verständnis des Stresses ist natürlich die Frage, was Stress eigentlich ist.
Sehr konzentriert und vereinfacht ausgedrückt, gerät ein Mensch in einen Stresszustand, wenn er eine Diskrepanz zwischen den wahrgenommenen Anforderungen einer Situation und seinen eigenen, vorhandenen Bewältigungsmöglichkeiten erlebt. Unter der biologischen Lupe erkennt man dabei einen psychischen und physischen Zustand, bei dem der Organismus den Toleranzbereich seiner normalerweise vorhandenen Homöostase (Fließgleichgewicht des inneren Milieus) über ein tolerierbares Maß hinaus verlassen hat, und nicht mehr durch allzeit verfügbare Reaktionsmuster und Routinehandlungen ausgleichen und wiederherstellen kann. Bleiben nicht tolerierbare Abweichungen von der Homöostase über längere Zeiträume bestehen, ist die Wahrscheinlichkeit negativer Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Gesundheit erhöht.
Am Zustandekommen einer derartigen Situation sind meist zahlreiche Faktoren beteiligt. Um Stress beim Menschen überhaupt verstehen und möglichst positiv beeinflussen zu können, ist deshalb eine ganz entscheidende Erkenntnis nötig, die über eine rein biologische Betrachtungsweise hinausgeht: Nämlich, dass das Stressgeschehen beim Menschen überaus komplex und hochindividuell ist.
Um dem Leser diese komplexe Gesamtthematik näher zu bringen und verständlich zu machen, werden in den folgenden Artikel zentrale und interessante Aspekte des vielgestaltigen Stressgeschehens identifiziert und erläutert.
Jörg Schönenberg