Den Berg hinaufzustürmen steigert die Beinmuskelkraft und verbessert Ihre Laufökonomie, doch wie sieht es mit dem Berg hinab laufen aus? Wenn Sie an einem Berg in der Nachbarschaft Wiederholungen absolvieren, müssen Sie den Berg hinunterjoggen, bevor Sie wieder bergauf stürmen können. Bringt Ihnen dieses Bergab joggen irgendetwas bis auf ein ausgiebiges Durchrütteln Ihrer Knie?
Natürlich! Wie wir bereits früher berichtet haben, kann das Berg ablaufen Beinmuskelschmerzen vor allem im vorderen Musculus quadriceps femoris vorbeugen. Schmerzen treten oft auf, wenn die Muskeln durch eine höher als übliche Anzahl von exzentrischen Kontraktionen beansprucht werden, bei denen die Muskeln versuchen zu kontrahieren, während sie tatsächlich gestreckt werden. Die Quadrizepsmuskeln spielen notorisch die Rolle der “beleidigten Leberwurst“, hauptsächlich weil die Schwerkraft das Knie bei jedem Schritt während des Laufens nach unten zieht (d. h. zu einer Kniebeugung führt). Diese Beugung dehnt die Quadrizepsmuskeln genau in dem Moment, in dem sie kontrahieren (versuchen sich zusammenzuziehen), um eine exzessive Kniebeugung zu vermeiden. Die daraus resultierende wiederholte Dehnung (zu der es ungefähr 90 mal pro Minute pro Bein kommt) kann zu signifikanten Schäden der Quadrizepsmuskeln führen. Wenn Sie einfach Ihr gewöhnliches Trainingsmaß absolvieren, haben sich Ihre Quadrizepsmuskeln bereits an die damit verbundene Anspannung gewöhnt und protestieren in der Regel nicht allzu sehr. Laufen Sie jedoch mehr Kilometer als Sie gewohnt sind, kann es zu einem nicht ignorierbaren Protest Ihrer Quadrizepsmuskeln kommen. Wenn Sie jemals Ihre Kilometerzahl gravierend erhöht haben oder einen Marathon gelaufen sind, kennen Sie das Gefühl.
Das Bergab laufen verstärkt diesen exzentrischen, “auseinanderziehenden“ Effekt auf die Quadrizepsmuskeln, weil das Bein bei jedem Schritt ein wenig weiter “fällt“ als üblich. Somit ist die Beinbeschleunigung beim Aufprall (Fußanschlag) größer und die Kräfte, die zu der Kniebeugung führen, sind dementsprechend ebenfalls größer. Die Quadrizepsmuskeln versuchen natürlich weiter, ihre Arbeit zu tun und der Kniebeugung zu widerstehen, doch die auf ihnen lastende Belastung ist sehr viel größer. Es kann zu mikroskopischen Rissen in den Quadrizepsmuskelfasern und dem Bindegewebe kommen, was zu beträchtlichen Schmerzen führen kann.
Das heißt aber nicht, dass bergab laufen Ihnen schadet. Auf lange Sicht ist es sogar gut, weil Ihre Quadrizepsmuskeln sich schnell anpassen. Wenn die Quadrizepsmuskeln dem Bergab laufen ausgesetzt werden, schmerzen sie natürlich, doch wenn Sie einige Wochen später wieder bergab laufen, sind Ihre Quadrizepsmuskeln beträchtlich robuster und weniger schmerzanfällig. Wenn Sie, nach der Belastung durch das Bergab laufen, länger laufen als üblich, werden Ihre Quadrizepsmuskeln darüber hinaus nicht so schnell schmerzen. Der, durch das Bergab laufen, gewonnene Schutz vor Schmerzen scheint sich auf das reguläre Training zu übertragen.
Der 6-Wochen-Faktor
Der Schmerzschutz durch einen einzigen Bergablaufzyklus kann aus noch zu klärenden Gründen in der Tat bis zu 6 Wochen anhalten. Vor einigen Jahren haben Wissenschaftler der University of Massachusetts 109 Personen 2 Sätze von 35 maximalen exzentrischen Kontraktionen des Bizepsmuskels im oberen Bereich eines Arms absolvieren lassen. Diese exzentrischen Kontraktionen bestanden im Wesentlichen aus dem Heben eines schweren Gewichts, wodurch die Bizepsmuskeln gezwungen wurden sich zu dehnen, da das Gewicht zur gleichen Zeit gesenkt wurde, zu der die Muskeln versuchten zu kontrahieren, um der Abwärtsbewegung des Gewichts längstmöglich entgegenzuwirken.(1)
Nach diesem ungewöhnlichen Workout erreichten Muskelschmerzen und Muskelanspannung ungefähr 2 – 3 Tage später ihren Höhepunkt; die maximale Schwellung trat erst einige Tage danach auf. Die Bizepskraft nahm unmittelbar nach der harten Trainingseinheit ab und blieb 10 Tage unter dem Nennwert.
Als die Testpersonen 6 Wochen später das gleiche Bizepsprogramm absolvierten (ohne ein dazwischen liegendes Bizepstraining), spürten sie deutlich weniger Schmerzen und einen geringeren Verlust an Muskelkraft. Die Bizepsmuskeln waren durch die vorausgegangene exzentrische Trainingseinheit irgendwie vor diesen Problemen geschützt.
Interessanterweise hielt dieser Schutz nicht viel länger als 6 Wochen an. Als eine zweite Gruppe von Testpersonen nach der vorausgegangenen exzessiven Trainingseinheit 10 Wochen wartete, bis sie ihre Bizepsmuskeln erneut der Anstrengung aussetzte, litten diese an unkontrollierbaren Schmerzen und verloren viel von ihrer Kraft. Was war passiert? Warum konnten sich die Bizepsmuskeln “erinnern“, was vor 6 Wochen passiert war, aber nicht was vor 10 Wochen passiert war?
Die Wissenschaftler aus Massachusetts vermuteten, dass eine harte Einheit exzentrischen Trainings das Nervensystem “lehrt“, wie es die auf besondere Muskeln einwirkenden Kräfte besser kontrollieren und verteilen kann. Theoretisch verringert das die auf die individuellen Muskelfasern einwirkende Belastung, wenn eine exzentrische Aktivität sie “zu zerreißen“ droht – und reduziert damit Muskelschäden und daraus resultierende Schmerzen. Genau wie das Nervensystem diesen Vorgang erlernen kann, kann es ihn auch wieder verlernen und zu diesem Verlernen scheint es nach 10 Wochen zu kommen.
Australische Ratten!
Eine schöne Theorie, aber funktioniert das wirklich so? Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler der Monash University in Australien 16 Laborraten über einen Zeitraum von 5 Tagen auf einem Laufband laufen lassen. 8 dieser Ratten ließ man lediglich bergauf laufen, während die anderen 8 nur bergab liefen. Die direkten Workouts bestanden aus 5-minütigen Trainingsintervallen mit 1,5-minütigen Pausen und begannen am ersten Trainingstag mit 3 Trainingsintervallen, die sich bis auf 7 Intervalle am 5. Tag steigerten. Die Laufgeschwindigkeit während der Trainingsintervalle betrug moderate 16 Meter pro Minute. Nach 5 Tagen wurden die Quadrizepsmuskeln der Ratten auf Kraft getestet. Anschließend wurde eine Biopsie vorgenommen.(2)
Eins der Schlüsselergebnisse war, dass die Quadrizepsmuskelzellen der bergab gelaufenen Ratten im Vergleich mit den Quadrizepsmuskeln der bergauf gelaufenen Nager ungefähr 10 % mehr Sarkomere pro Zelle enthielten. Um zu verstehen, was Sarkomere sind, müssen Sie im Gedächtnis behalten, dass eine Muskelzelle ein fassförmiges Gebilde ist, und dass jedes “Fass“ mit einigen hundert bis tausend zylindrischen, fadenartigen Gebilden gefüllt ist, die Myofibrillen genannt werden. Um das zu illustrieren, stellen Sie sich einfach ein rohrförmiges Gebilde (die Muskelzelle) vor, das mit zahllosen kleinen, zylindrischen Drähten (den Myofibrillen) vollgestopft ist. Wenn wir sagen, dass eine Muskelzelle die Form eines Rohrs hat, beziehen wir uns übrigens auf einen Teil eines Wasserrohrs.
Die Myofibrillen selbst bestehen aus mikroskopischen, zylindrischen Kammern, die aneinander stoßen (stellen Sie sich kleine Zylinder oder Spulen vor, die an ihren Enden verklebt sind, um einen langen Zylinder zu bilden). Diese Kammern werden Sarkomere genannt und in den Sarkomeren finden sich die Proteine (Fasern), die es den Muskeln erlauben sich zusammenzuziehen und zu dehnen. Indem spezielle Fasern nach innen gleiten (in Richtung der Mitte der Sarkomere), ziehen sich die Myofibrillen und die Gesamtmuskelzelle zusammen, doch wenn die Fasern nach außen gleiten, dehnt sich der Muskel.
Wie bereits erwähnt, veranlasst das Bergablaufen die Muskelzellen, die Myofibrillen mit mehr Sarkomeren anzureichern. Warum ist diese Vermehrung der Sarkomere von Vorteil und wie kann sie Muskelschäden und Muskelschmerzen vorbeugen? Da sich die Länge der Muskelzellen durch das Berablaufen nicht signifikant verändert, bedeutet die Tatsache, dass pro Muskelzelle mehr Sarkomere vorhanden sind, dass sich jedes Sarkomer während der exzenterischen Kontraktionen, bei denen die ganze Muskelzelle sich dehnt, in einem durch Bergabläufe trainierten Muskel weniger dehnen muss und somit weniger anfällig für innere Schäden ist.
Mehr Sarkomere, weniger Anspannung
Um das zu illustrieren, nehmen wir einmal an, dass wir 2 Muskelzellen haben, die beide 2,54 cm lang sind, sich jedoch während einer exzentrischen Aktivität auf 5,08 cm dehnen müssen. Wenn eine dieser Muskelzellen 10 Sarkomere hätte, die andere (die durch Bergabläufe trainierte Faser) jedoch 20, ist leicht ersichtlich, dass sich die 10 Sarkomere jeweils um 1/10 eines Zentimeters dehnen müssten, um die Zelle auf 5,08 cm anwachsen zu lassen, während die 20 Sarkomere in der anderen Zelle sich nur um 1/20 eines Zentimeters dehnen müssten, um die Zelle lang genug zu machen. Wie Sie sehen, sind die Sarkomere während einer exzentrischen Kontraktion weniger Anspannung ausgesetzt, wenn pro Myofibrille mehr Sarkomere vorhanden sind. Eine ziemlich clevere Anpassung!
Wenn Sie bergab laufen, veranlassen Sie Ihre Muskelzellen, mehr Sarkomere zusammenzufügen. Eine gesteigerte Sarkomerdichte reduziert die Belastung der Myofibrillen und schützt Sie gegen Schmerzen und Schäden, die aus zukünftigen Bergabläufen und sehr harten und langen Workouts und Rennen resultieren können. Dass die Schäden reduziert werden, bedeutet auch, dass Sie sich schneller von sehr harten Trainingseinheiten und Wettkämpfen erholen – und schneller für ein anschließendes qualitatives Training bereit sind als der arme Tropf mit weniger Sarkomeren.
Es ist kein Zufall, dass kenianische Eliteläufer unaufhörlich mit Bergab- und Bergaufläufen trainieren – und mehr qualitatives Training absolvieren können als alle anderen Läufer dieser Welt (von dem 4-maligen Geländelaufweltmeister Paul Tergat wird gemunkelt, dass er 4 bis 6 extrem harte Trainingseinheiten pro Woche absolviert, wenn er hart trainiert; und die kenianischen Läufer, die an dem kenianischen Geländelaufkamp vor der Weltmeisterschaft teilnahmen, absolvierten routinemäßig 6 harte Trainingseinheiten pro Woche und 19 wöchentliche Workouts insgesamt). Die Muskeln der durch die harten Bergabläufe im westlichen Teil des Rift Valley (oder auf den schroffen Hängen der Aberdares, wenn die Läufer aus Zentralkenia kommen) trainierten Kenianer sind mit Sarkomeren übersättigt und dadurch resistenter gegenüber Verschleißschäden, die sowohl mit sehr schnellem als auch mit sehr langem Laufen in Verbindung gebracht werden.
Man sollte auch nicht vergessen, dass die höhere Anzahl an Sarkomeren bedeutet, dass Muskelkontraktionen schneller erfolgen können, da jedes Sarkomer weniger kontrahieren muss, damit die Gesamtmuskelzelle zusammengedrückt wird (das Ineinandergleiten der Fasern in den Sarkomeren braucht Zeit; je weiter sie gleiten müssen, desto länger braucht es, um einen Muskel zusammenzudrücken). Wenn wir unser Beispiel der 2,54 cm langen Muskelzellen noch einmal bemühen, diesmal jedoch davon ausgehen, dass sie auf eine Länge von 1,26 cm kontrahieren müssen, können wir schnell erkennen, dass die 10-Sarkomerzelle um 1,26 cm pro Sarkomer kontrahieren muss, während die 20-Sarkomerfaser nur um 0,63 cm pro Sarkomer kontrahieren muss. Die Kombination aus schnell kontrahierenden, verletzungsresistenten Muskeln ist ein Markenzeichen der kenianischen Läufer.
All das spricht umso mehr dafür, einen größeren Teil unseres Trainings in bergigem Gelände zu absolvieren. Ein paar Dinge sollten Sie jedoch nicht vergessen, wenn Sie bergab laufen. Wenn sie einen Berg hinablaufen, beugen Sie sich natürlich und bequem vor; versuchen Sie nicht, den Oberkörper zurückzulehnen. Behalten Sie sich unter Kontrolle, aber versteifen Sie nicht oder leisten Sie dem Berg nicht zu viel Widerstand; lernen Sie, koordiniert und ausbalanciert zu bleiben, da die Schwerkraft die Arbeit für Sie übernimmt. Während eines Rennens können Sie schneller laufen als Sie normalerweise bergab laufen ohne Anstrengung, Sauerstoffverbrauch oder Herzfrequenz zu steigern.
Und wenn Sie am Berg trainieren, sollten Sie daran denken, dass Ihr Bergauflauftraining zwar Ihre Laufökonomie verbessert, doch dass auch Ihre Bergabläufe eine sehr positive Auswirkung auf Ihr Laufen haben. Während Sie bergab laufen, vermehren Sie die Sarkomere Ihrer Beinmuskelzellen. Diese zusätzlichen Sarkomere beschleunigen Ihre Schritte und helfen Ihnen, in Zukunft frei von Schmerzen und Verletzungen zu bleiben. Dies wird es Ihnen erlauben, regelmäßiger zu trainieren und ein besserer Sportler zu werden.
Owen Anderson
Quellenangaben:
– ”Muscle Function after Exercise-Induced Muscle Damage and Rapid Adaptation“, Medicine and Science in Sports and Exercise, 1992, Bd. 24(5), S. 512-520
– „Differences in Rat Skeletal Muscles after Incline and Decline Running“, Journal of Applied Physiology, 1998, Bd. 85(1), S. 98-104