Das „Functional Training“ oder der Begriff des funktionellen Trainings ist im Sport im Moment allgegenwärtig. Nur den wenigsten Sportlern und Trainern ist jedoch wirklich klar, was die grundlegenden Inhalte dieser Trainingsform sind und welche Prinzipien dabei berücksichtigt werden müssen.
Das funktionelle Training ist zu einem populären Begriff geworden. Häufig wird diese Trainingsform auf instabile Unterlagen, das Arbeiten mit Medizinbällen und anderen Zusatzgewichten oder mit Koordinationsleitern und weiterem Zubehör reduziert. Dabei beinhaltet das funktionelle Trainieren wichtige Grundlagen, die Sie in Ihrem Trainingsaufbau berücksichtigen sollten.
Die Grundlagen eines wirklich funktionellen Trainings
Der Physiotherapeut Gary Gray gilt als Vater einer Trainingsform, bei der es darum geht, Ihren Körper in Übereinstimmung mit seiner Körperfunktion arbeiten zu lassen. Dabei stehen die Belastung gemäß der Funktion Ihrer Muskulatur und die Berücksichtigung der Bewegungsachsen im Vordergrund. Funktionell wird ein Training erst durch das Berücksichtigen der anatomischen und physiologischen Grundbedingungen. Dazu kommt, dass die im sportlichen Alltag auftretenden Belastungen, Beanspruchungen und Bewegungen berücksichtigt werden müssen. Bewegungszusammenhänge verschiedener Muskelgruppen und das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln werden umfassend trainiert.
Unterschiede in der Bewegungsfunktion Ihrer Muskulatur
In der klassischen Trainingslehre wird die Bewegung eines Muskels allein über den körpernahen Ursprung und den körperfernen Ansatz bestimmt. Wenn Sie beispielsweise Ihre Beinbeugemuskulatur betrachten, wird deren Funktion im Trainingsalltag häufig auf das Beugen des Beins reduziert. So wird im Radsport und im Triathlon das Krafttraining oft isoliert auf den Kniestrecker ausgerichtet.(1) Betrachtet man den Bewegungsablauf hingegen funktionsorientiert, erkennt man, dass am Vortrieb nicht allein der Kniestrecker beteiligt ist. Der Grund dafür ist, dass der zweigelenkige Beinbeuger eben nicht einfach auf ein Beugen im Kniegelenk zu reduzieren ist. Da auf dem Fahrrad jedoch die kinetische Kette durch den Fuß am Pedal fixiert wird, tritt das so genannte Lombardsche Paradoxon auf, nach dem sich der Muskel entgegen der Erwartung verhält: Beim Radfahren und beim Laufen arbeitet die Beinbeugemuskulatur als Hüftstrecker!(1,2) Funktionelles Krafttraining muss demnach Übungen berücksichtigen, bei denen diese Arbeitsweise die Grundlage der Bewegung bildet. Nur so werden auch die entsprechenden Aktivierungsmuster herausgebildet.
Geben Sie komplexen Übungen den Vorzug!
Viele Übungen trainieren die Muskulatur sehr isoliert. Wenn Sie stattdessen komplexe Übungen ohne jegliche Führung machen, sind mögliche Anpassungen wesentlich umfangreicher. Bei einem auf die Körperfunktion ausgerichteten Training sollten deshalb komplexe Übungen im Vordergrund stehen, die auch die Muskulatur ansprechen, die stabilisierend oder unterstützend an Bewegungen beteiligt ist. Erreicht werden kann dies, indem die Inhalte eines Krafttrainings von freien Gewichten und komplexen Übungen dominiert werden. Zusätzlich können in separaten Trainingseinheiten die Koordination und die Beweglichkeit geschult werden, indem Sie beispielsweise Bewegungsaufgaben in Koordinationsleitern in Ihr Trainingsprogramm aufnehmen. Die isolierten Trainingsformen stammen vor allem aus dem Bodybuilding und sollen das Fixieren auf bestimmte Muskeln erlauben. Dabei steht aber im Wesentlichen der Muskelaufbau und weniger die Bewegungsaufgabe im Vordergrund.
Arbeiten Sie auch mal gegen die Gravitation
Bei nahezu jeder sportlichen Belastung kämpfen Sie gegen die Erdanziehungskraft (besonders gilt das fürs Sling-Training). Unabhängig davon, ob Sie Laufen oder Springen, Sie müssen jeweils die Gravitation überwinden. In Bezug auf Ihr Training sollten Sie Ihre sportspezifischen Bewegungen auch im Zusammenhang mit dieser betrachten. Ein funktionelles Training zielt neben den konditionellen Aspekten auch auf die Koordination Ihrer Bewegungen ab. Je komplexer ein Bewegungsmuster ausfällt, desto wichtiger ist das Orientieren an der Gravitation und der Wirkung der Kräfte.
Verletzungen vorbeugen
In jeder Sportart werden Kräfte übertragen! Beim Laufen auf den Boden, beim Werfen auf einen Gegenstand wie den Speer und beim Radfahren auf die Pedale. Ihrem Rumpf kommt dabei die Aufgabe zu, Kräfte zu übertragen und so die Bewegung überhaupt erst möglich zu machen. Ergänzend zu Ihrem Krafttraining können Sie mit einem stabilisierenden Training dafür sorgen, dass die Kräfte besser auf die Zielbewegungen übertragen werden können.(3)
Neben der Stabilität muss zudem auch die Propriozeption trainiert werden. Damit sind sensorische Elemente gemeint, die über das zentrale Nervensystem Impulse erfassen, verarbeiten und Reaktionen vorbereiten. Beispielsweise gewährleisten propriozeptive Mechanismen die Fähigkeit Ihres Körpers, auch ohne visuelle Wahrnehmung aufrecht stehen zu können. Insbesondere das Vermeiden von Verletzungen kann effektiv durch das Trainieren Ihrer Propriozeption unterstützt werden, da die Kapazität der Gelenkkapsel-, Sehnen- und Bandrezeptoren zunimmt und so die Stabilität erhöht. Fehltritte, Umknicken und Straucheln nach Abbremsreaktionen können reduziert werden. Sie sollten sich bei den Trainingsinhalten immer auch an Ihrer Sportart ausrichten. Inhalte eines solchen Trainings sind beispielsweise instabile Unterlagen, wie Wackelbretter, Weichmatten oder Therapiekreisel. Auf diesen Unterlagen können z. B. einbeinige Kniebeugen trainiert werden. Sie sollten diese Trainingseinheiten jedoch immer als eigenständige Einheiten sehen, die im unermüdeten Zustand und deshalb separat von anderen Trainingsinhalten durchgeführt werden sollten.
Die Mischung machts!
Die Inhalte des funktionellen Krafttrainings beinhalten sehr viele stabilisierende und funktionsorientierte Komponenten. Bei einer solchen Trainingsform können Sie naturgemäß nicht mit maximalen Lasten arbeiten. Das ist aber wichtig, um die Maximalkraft optimal entwickeln zu können. Da die wiederum die Basisfähigkeit für Ihre Schnellkraft und Kraftausdauerleistungen bildet, kann das funktionsorientierte Krafttraining nur eine Komponente im Aufbau der Gesamtleistung sein. Ihr kommt die Aufgabe zu die Grundlage zu schaffen, Ihre Kräfte optimal zu übertragen! Ganz gleich ob für das Radfahren, für das Laufen oder ob Sie eine Ballsportart betreiben. Verbessern Sie Ihre Kraftübertragung und steigern Sie Ihre Leistung mit den vorgestellten Prinzipien!
Trainingstipps
– Trainieren Sie Ihre Muskulatur entsprechend der Funktion, die sie während einer Belastung einnimmt.
– Ergänzen Sie Ihr Training um koordinative und propriozeptive Elemente.
– Ihr Rumpf überträgt sämtliche Kräfte, so dass ein Stabilisierungstraining für den Rumpf die Basis für Ihren Trainingserfolg und Ihre Fitness darstellt.
– Trainieren Sie mit freien Gewichten und üben Sie die sportartspezifi schen Bewegungsabläufe.
– Komplexe Übungen mit möglichst vielen Bewegungsachsen helfen Ihnen, Kraft funktionell zu entwickeln
– Achten Sie auf eine gute Mischung aus funktionellem Training und Maximalkrafttraining.
Dennis Sandig\n M.A.
Quellenangaben
1. Lehre der Leichtathletik, 1989, Bd. 28 (27), S. 783–786
2. Sportwissenschaft, 1991, Bd. 21 (4), S. 413–428
3. Journal of strength and conditioning Research, 2007, Bd. 21 (4), S1108–1112
Fachsprache
Kinetische Kette – Verbindung der an einer Bewegung beteiligten Muskelschlingen
Propriozeption – Wahrnehmung von Körperbewegungen im Raum
Zentrales Nervensystem – ein Teilsystem des Nervensystems, dessen Aufgabe die Integration sensibler Reize, die Koordination und die Regulation hormoneller Art ist