Krafttraining auf dem BOSU Ball: Macht das wirklich Sinn?

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Krafttraining auf dem BOSU Ball, Wackelbrett oder anderen instabilen Unterlagen wie Weichmatten, Trampolin und Pads – das sogenannte Propriozeptionstraining wird vermehrt auch im Krafttraining eingesetzt. Unsere Sportexperten nehmen diese Trainingsform kritisch unter die Lupe.

Krafttraining auf BOSU Ball und anderen instabilen Unterlagen

Training auf instabilen Unterlagen wie z.B. dem BOSU BAll kommt ursprünglich aus der Physiotherapie und wird dort als Propriozeptionstraining bezeichnet. Trainingsmittel wie BOSU-Bälle, Weichmatten, Trampolin und Pads findet man zunehmend auch im Krafttraining und hier insbesondere im so genannten „Functional Training“. Dabei wird oftmals das Training der Propriozeption als besonders „funktionell“ angesehen. So heißt es, dass „funktionell trainieren“ immer auch bedeutet, die Propriozeption zu trainieren. Diese Denkweise ist jedoch wenig trennscharf, denn bei genauer Betrachtung der neurophysiologischen Abläufe gibt es grundlegend Zweifel an den gewünschten und den reellen Wirkungsweisen eines propriozeptiven Trainings.

Insbesondere im so genannten „Functional Training“ wird Krafttraining sehr oft in Verbindung mit instabilen Unterlagen durchgeführt. Was ist jedoch von instabilen Unterlagen im Krafttraining zu halten?

Was ist Propriozeption?

Das Training auf instabilen Unterlagen ist in der Medizinischen Trainingstherapie aber auch in der Prävention weit verbreitet. Trampoline, BOSU Ball und Weichmatten bilden die Basis für solche Trainingsformen. Der Begriff der Propriozeption soll dabei die Fähigkeit beschreiben, die Veränderung und Lage von Gelenkwinkeln wahrzunehmen (1).

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Die korrekte Bedeutung der Propriozeption beschränkt sich somit ausschließlich auf den Vorgang des Erfassens bzw. der Wahrnehmung. Bezogen auf die neuronalen Prozesse spricht man hier von afferenten Vorgängen. Nicht gemeint, sind hingegen die Funktion der muskulären Ansteuerung und somit der Reaktion, die als „efferente Abläufe“ bekannt sind (1). Demnach ist eine Beurteilung der Propriozeption bzw. der propriozeptiven Leistungsfähigkeit bei koordinativ anspruchsvollen Übungen nicht ohne Weiteres möglich.

Training der Propriozeption sinnvoll?

Den Einbeinstand auf einem BOSU Ball kann man somit nicht nutzen, um Aussagen über die „propriozeptive Leistungsfähigkeit eines Sportlers zu treffen. Dies liegt daran, dass bei solchen Bewegungsabläufen die Anteile von afferenten und efferenten Mustern eng miteinander gekoppelt sind. Eine klare Aussage zu einem der beiden Aspekte ist dadurch unmöglich. Aufgrund der komplexen Interaktion von Afferenz und Efferenz muss hinterfragt werden, ob das Nutzen von instabilen Unterlagen überhaupt die propriozeptive Leistungsfähigkeit steigern bzw. verbessern kann.

Dies gilt auch, obwohl eine solche Trainingsform komplexe motorische Leistungen, wie beispielsweise die Gleichgewichtsfähigkeit verbessern kann (1). Teilweise liefern Untersuchungen an gesunden Sportlern und auch an Patientengruppen, keinerlei Hinweise, dass es trainingsbedingte Verbesserungen der propriozeptiven Leistungen gibt (2). Eine gesteigerte kooridinative Leistungsfähigkeit muss nicht notwenigerweise auf eine verbesserte Propriozeption zurückgeführt werden. Bezogen auf Verletzungen, werden oftmals Einschränkungen der propriozeptiven Leistungsfähigkeit festgestellt.

Auch wenn in diesem Zusammenhang sensomotorische Defizite beschrieben werden, muss nicht automatisch ein kausaler Zusammenhang bestehen. Das Verbessern von sensomotorischen Leistungen ist im Umkehrschluss auch nicht automatisch mit verbesserten propriozeptiven Leistungen erklärbar.

Sensomotorisches Training

Angesichts der Problematik um das Vermischen von afferenten und efferenten Anteilen muss der Begriff des „propriozeptiven Trainings“ grundlegend hinterfragt werden! Anpassungen sind vielmehr auch auf der Ebene einer optimierten Gewichtung von unterschiedlichen Signalen erklärbar. Den Einsatz der instabilen Unterlagen sollte man also vielmehr als „sensomotrisches Training“ bezeichnen (2).

Die Verbesserungen dieser Trainingsform sind mit Vorsicht auf mögliche verletzungsprophylaktische Effekte hin zu überprüfen. Aus praktischer Sicht stellt sich dabei die Frage, wie schnell Informationen über die Position im Raum in eine Reaktion der Muskulatur übertragen werden können. Verletzungen geschehen in der Regel bei schnellen, dynamischen Krafteinwirkungen, bei denen die Bewegungskorrektur in sehr kleinen Zeiträumen geschehen muss (1).

Übungen auf dem BOSU Ball

Sind im Training nun Übungen wie das Balancieren auf dem BOSU Ball, einem Wackelbrett, Trampolin, einem Therapiekreisel oder einer Weichbodenmatte integriert, stehen langsame Bewegungsabläufe im Fokus. Die dafür notwendigen langen Korrekturzeiträume können jedoch nicht einfach auf kritische Situationen in der Sportpraxis übertragen werden. Möglicherweise wird sogar die Fähigkeit, auf schnelle Korrekturmechanismen umzuschalten durch umfangreiches Training der langen Muster reduziert (2).

In der Trainingspraxis sollten aus diesem Grund nur sehr kurze Korrekturzeiträume angestrebt werden. Zudem sollte das Training stets variiert werden, so dass neue Trainingsreize und neue Antizipierungsmuster gefordert werden.

Beispielübung: Kniebeugen auf dem Wackelbrett

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Wenn Sie die Kniebeuge mit Langhantel bereits beherrschen, haben Sie eine gute Grundlage geschaffen, um Ihre Kraft auf sportspezifische Bewegungen zu übertragen. Mit unserer heutigen Übung „Kniebeugen auf dem Wackelbrett“ können Sie Ihr Krafttraining um die Komponenten Stabilisierung und Koordination erweitern. Durch den instabilen Untergrund des Wackelbretts werden diese Fähigkeiten optimal trainiert.

Begeben Sie sich für die Ausgansposition auf das Wackelbrett in etwa hüftbreiten Stand. Versuchen Sie zunächst ein Gefühl für die instabile Unterlage zu bekommen und Ihren Körper soweit auszubalancieren, dass Sie eine relativ stabile Position zur Übungsauführung haben. Achten Sie darauf, dass Ihr Rücken gerade (ohne Hohlkreuz!) ist und Ihr Becken nicht kippt. Die Fußspitzen zeigen nach vorn, der Kopf befindet sich in Verlängerung der Wirbelsäule und der Blick ist geradeaus gerichtet. Um das Gleichgewicht besser halten zu können, suchen Sie sich einen fixen Punkt in Ihrem Blickfeld vor sich, den Sie währen der gesamten Übung anvisieren können. Schauen Sie nicht nach unten auf Ihre Füße. Nehmen Sie nun einen Ball (die Größe kann je nach Trainingsstand variieren) und halten Sie ihn mit beiden Händen auf Brusthöhe vor sich, die Arme sind dabei gestreckt.

Gehen Sie nun langsam und kotrolliert in die Kniebeuge, bis Ihre Oberschenkel etwa parallel zum Boden sind, wie im Trainingsvideo gezeigt wird. Anschließend kehren Sie zurück in die Ausgangsposition. Der Ball wird während des gesamten Übung nach vorne gestreckt. Ihr Becken sollte stabil bleiben und der Rücken gerade, um die Bandscheiben zu schonen können Sie jedoch bei der Abwärtsbewegung ein ganz leichtes Hohlkreuz bilden.

Funktionelles Krafttraining auf instabilen Unterlagen wie dem BOSU Ball

BOSU BAll: Ist Krafttraining auf instabilen Unterlagen wie dem Wackelbrett, Weichmatten, Trampolin & Pads wirklich sinnvoll?

Propriozeption soll im Fokus des „Functional Trainings“ stehen. So wird bei den 9 Prinzipien des „Functional Trainings die Propriozeption als ein eigenständiger Punkt betrachtet. Dabei wird dem Training auf instabilen Unterlagen und einbeinigem Training eine besondere Bedeutung zugeschrieben.

Dass man mit diesen Trainingsmitteln jedoch die Kraft steigert, ist eine Fehlannahme. Nur weil sich ein Training mit instabilen Unterlagen „schwer“ anfühlt, kann man noch lange nicht von einer gesteigerten Kraftleistung ausgehen. Als Argument gilt hier von Befürwortern, dass das Training auf einem instabilen Untergrund in einer höheren muskulären Aktivierung resultiert und so die Muskeln besser ausgelastet sind.

Allerdings ist das Gegenteil der Fall – die höchsten Aktivierungsgrade der Muskulatur sind erreichbar, wenn man hohe Lasten auf festem Untergrund bewegt. Die motorischen Einheiten eines Muskels werden nur dann vollständig aktiviert, wenn Lasten von annähernd 100 % des 1 Wiederholungsmaximums realisiert werden. Dies ist auf einem instabilen Untergrund nicht möglich.

Krafttraining erfordert Lasten

Wenn Sie Ihre Kraft steigern wollen, muss es in Ihrem Krafttraining Inhalte mit sehr hohen Lasten geben. Andernfalls ist das Steigern der Kraftfähigkeiten eben limitiert. Inwiefern Sie ein koordinatives Training als Trainingsinhalt wählen, ist stark von Ihrem Ziel abhängig. Wenn Sie jedoch solche Trainingsinhalte in Ihr Training aufnehmen möchten, sollten Sie insbesondere berücksichtigen, dass das Trainieren Ihrer sensomotorischen Leistungsfähigkeit in kürzeren Zeiträumen verbessert werden kann, wie die grundlegenden Fähigkeiten Kraft und Ausdauer.

Je nach Zielstellung muss man hier die Trainingsinhalte zudem beständig variieren und anpassen, um zu verhindern, dass sich Ihr Nervensystem an bestimmte Reize gewöhnen kann. Entgegen der Trends rund um das Training mit instabilen Unterlagen im Rahmen der „Functional Fitness“ und des „Functional Trainings“ muss man die möglichen Trainingseffekte jedoch grundlegend hinterfragen. Ähnlich wie bei der Auswahl der Trainingsübungen kann es auch beim Einsatz von instabilen Unterlagen per se keine Einteilung in „funktionell“ und „unfunktionell“ geben!

Im Fokus muss vielmehr immer der Sportler stehen, bei dem eine individuelle Zielstellung und individuelle Stärken und Schwächen analysiert und besprochen werden müssen. Beim Entwickeln eines Trainingsprogramms kann dann hierauf eingegangen werden. Dass man dann möglicherweise auch den Einsatz von sensomotorischen Trainingsformen sinnvoll gestalten kann, liegt auf der Hand.

Koordination ja, Krafttraining auf dem BOSU Ball nein

Die Wirkungsweise von sensomotorischem Training ist nicht auf die Propriozeption beschränkt. Diese Sichtweise entspricht nicht den komplexen Regelmechanismen des neurophysiologischen Systems. Von einem generellen Einsatz dieser Trainingsform insbesondere im Krafttraining ist deshalb eher abzusehen. Dennoch können bei speziellen Fragestellungen Übungen aus diesem Spektrum durchaus Sinn machen.

Ein Irrglaube ist es jedoch, „Kraft“ und „Propriozeption“ in einer Trainingseinheit unbedingt gleichzeitig ansprechen zu müssen. Diesen Ansätzen aus dem „Functional Training“ muss auf Basis des aktuellen Forschungsstand zur Neurophysiologie“ widersprochen werden.

Ein BOSU Ball eignet sich demnach nicht für das Krafttraining

Kraft lässt sich eben insbesondere durch das Training mit hohen Lasten steigern und nicht durch den Einsatz von instabilen Unterlagen. Insbesondere die aus dem Bereich des „Functional Training“ abgeleitete Gleichzeitigkeit von koordinativen Trainingsinhalten und dem Ziel, die Kraft zu steigern muss kritisch hinterfragt werden.

Auf Basis der bekannten neurophysiologischen Grundlagen und der Erkenntnisse der dimensionsanalystischen Struktur der Kraft ist anzunehmen, dass das Einbauen von koordinativ anspruchsvollen Übungsformen immer mit einer verminderten Krafttrainingsanpassung einhergehen. Neben instabilen Unterlagen scheinen diese Effekte auch für das Kombinieren von Krafttraining und Vibrationsplattformen zu gelten. Vorrangig koordinative Anpassungen sind jedoch auch in der Rehabilitation keineswegs das Hauptziel der Trainingsintervention.

Sensomotirische Trainingsformen

Gerade der Aspekt, dass sensomotrische Trainingsformen mit langen Rückmeldungen mit dem Verletzungsgeschehen in keinem Zusammenhang stehen bzw. dass man die Anpassungen an eine solche Trainingsform nicht in jedem Fall als „funktionell“ betrachten darf, zeigt, wie individuell das Zusammenstellen von Übungsformen geschehen muss.

Sensomotirische Trainingsformen muss man stets weiterentwickeln und dem aktuellen Trainingszustand anpassen. Nur so sind langfristige positive Effekte zu sichern! Gerade beim sensomotirischen Training gilt die Leitlinie, dass immer mehr, von immer gleichen Trainingsinhalten keinerlei Vorteile bringt.

Vier einfache aber effektive Tipps für Ihr Krafttraining

  1. Krafttraining erfolgt am besten ohne zusätzliche koordinative Anforderungen
  2. Kraft und Koordination sollten in getrennten Trainingseinheiten angesprochen werden
  3. Instabile Unterlagen wie der BOSU Ball sollten variabel eingesetzt werden
  4. Übungsanforderung auf dem BOSU Ball muss steigen!

Dennis Sandig

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Lars Lienhard ist der Pionier des Neuroathletiktrainings in Deutschland. Er arbeitet als Trainer, Berater und Ausbilder im Spitzensport. Der Sportwissenschaftler und ehemalige Leistungssportler ist der führende Experte für neurozentriertes Training in Europa. Er hat zahlreiche Athleten auf die Olympischen Spiele vorbereitet und unterstützt als Trainer und Berater Vereine und Verbände bei sportlichen Großveranstaltungen und in konzeptionellen Fragen. So war er unter anderem als Trainer 2014 bei der FIFA Fußballweltmeisterschaft in Brasilien und 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio. 2018 erschien im riva Verlag sein Grundlagenbuch zum Thema Training beginnt im Gehirn.

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Literatur

  1. Sportverletzung Sportschaden, 2006, Bd. (20), S. 107–111.
  2. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin,2007, Bd. 58, (1). S. 19-24.

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About Author

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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