Neuroathletik: Das propriozeptive System

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Vom führenden Experten Lars Lienhard: Das propriozeptive System beschreibt ein Modell, mit dessen Hilfe unser Gehirn die eigene Bewegung wahrnimmt und einordnet. Es erzeugt über die Position und Stellung der Gelenke zueinander ein sich ständig aktualisierendes dreidimensionales Bild unserer eigenen Bewegung für das Gehirn.

Wie das Gehirn unsere Bewegung wahrnimmt

Wird die Wahrnehmung unserer Bewegung durch schlechte Informationen aus den Strukturen, die unsere Bewegungen messen, oder während der Informationsübertragung und -auswertung getrübt, ist unsere eigene Bewegung nicht mehr zu 100 Prozent vorhersehbar und die Leistung der Bewegung wird vorsichtshalber eingeschränkt.

Die wichtigsten und meisten Informationen, um ein dreidimensionales Bild zu erstellen, bekommt unser Gehirn aus den Strukturen, in denen Bewegung überwiegend stattfindet: den Gelenken. Dort haben wir die größte Anzahl von Mechanorezeptoren.

Diese befinden sich in sehr hoher Dichte in und um die Strukturen der Gelenke – in den Gelenkkapseln, Bändern, Muskel-Sehnen-Komplexen etc. – und messen Spannungsunterschiede, die durch Bewegung entstehen.

Gut kontrollierbare Gelenke steigern die Leistung

Der schnellste und effektivste Weg, um das propriozeptive System zu verbessern und dadurch die Vorhersagbarkeit und Qualität der eigenen Bewegung zu optimieren, ist daher, Gelenke gezielt und aktiv zu kontrollieren. Denn eine Bewegung ist immer nur so gut, wie jedes an der Bewegung beteiligte Gelenk auch vorhersehbar ist, das heißt seine Bewegung dem Gehirn als voll verfügbar und aktiv kontrollierbar erscheint.

Neuro-Mobility-Training

Sämtliche Strukturen, die mit einem Gelenk in Verbindung stehen, werden über ein aktives Mobilisieren der Gelenke durch ein Neuro-Mobility-Training in ihrer Funktion verbessert. Besonders Systeme, die die Gelenke umspannen, profitieren von dieser aktiven Gelenkskontrolle.

Das sind insbesondere das periphere Nervensystem, welches Informationen zwischen Rezeptoren und Gehirn hin und zurück überträgt, sowie das den Körper verbindende und formgebende System der Faszien.

Ein Sportler sollte in der Lage sein, jedes wichtige Gelenk im gesamten Bewegungsausmaß in jeder Geschwindigkeit aktiv kontrollieren zu können, um so wenig Leistungseinschränkungen wie möglich zu erfahren und seine Bewegung im vollen Ausmaß nutzen zu können.

Assessments für das propriozeptive System

In der Neuroathletik ist das unmittelbare Überprüfen der Wirkung einer Übung ein grundlegender Bestandteil, um das Neuro-Mobility-Training optimal gestalten zu können.

Spezifische Assessments für das Training des propriozeptiven Systems

Kraft und Beweglichkeit

Ein englisches Sprichwort besagt: »Immobile joints createweak muscles.« (Unbewegliche Gelenke schaffen schlaffe Muskeln.) Wird die eigene Bewegung über die Informationen der Gelenke als nicht optimal vorhersehbar wahrgenommen, werden als Schutzmaßnahme die Kraft und die allgemeine Beweglichkeit reduziert. Daher bieten sich die Beweglichkeitsassessments und die Kraftassessments an, um zu überprüfen, welchen neuronalen Effekt die im Folgenden aufgeführten Mobility-Übungen und die Nervdehnungen haben.

Balance

Balanceübungen eignen sich ebenfalls als Assessment für das propriozeptive System. Die Balance zu halten, ist die Fähigkeit, den Körperschwerpunkt über der Unterstützungsfläche zu halten beziehungsweise ihn wieder dorthin zurückzubringen, also zu »re«-positionieren. Beim Repositionieren des Körperschwerpunkts spielen die Informationen aus den Mechanorezeptoren der Gelenke eine wichtige Rolle, daher können Balancetests wie z.B. der Tandemstand als gutes Assessment dienen.

Trainingsbeispiel Tandemstand

Übungsbeispiel aus dem Neuroathletiktraining

Der Tandemstand © riva Verlag

Nehmen Sie den neutralen Stand ein. Setzen Sie nun den linken Fuß vor den rechten, sodass die Ferse des vorderen Fußes die Zehen des hinteren berühren. Die Beine bleiben gestreckt, die Wirbelsäule entspannt und lang und der Blick nach vorn gerichtet. Das Gewicht sollte mehr auf dem hinteren Bein liegen.

Gewöhnen Sie sich für einige Sekunden an diese Position und schließen Sie dann für 10 bis 15 Sekunden die Augen. Achten Sie auf Schwankungen und Bewegungen in Ihrem Körper. Zieht es Sie mehr zu einer Seite? Oder vielleicht nach vorn oder hinten? Wechseln Sie im Anschluss die Beine, sodass der rechte Fuß nun vor dem linken steht, und wiederholen Sie die Übung.

Hinweis: Vergleichen Sie nach der Ausführung beide Seiten. Die Seite, auf der Sie die
Balance schlechter halten können, sollten Sie für das Assessment nutzen.

Koordination

Technik und Koordination haben viel mit der Funktionalität des Kleinhirns zu tun. Denn alle propriozeptiven Informationen aus den Gelenken laufen durch das Kleinhirn, bevor sie innerhalb des Gehirns weitergeleitet werden. Assessments, die also direkt mit der Funktion des Kleinhirns zusammenhängen, wie Koordinationsaufgaben, sind daher ein weiteres geeignetes Mittel zur Überprüfung der propriozeptiven Trainingseffekte.

Mehr zum Thema: Neuroathletik – Das visuelle System

Autor: Lars Lienhard

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