Trainingsanpassungen und -erfolge werden in Trainerausbildung von Sportverbänden und sogar in Lehrbüchern sehr oft mittels des Superkompensationsmodells beschrieben. Unser Sportexperte Dennis Sandig prüft die Vor-und Nachteile dieser Art der Trainingsplanung und stellt Alternativen vor!
Die Kritik am Superkompensationsmodell ist keineswegs neu (1). Es zeigt sich aber auch, dass moderne Konzeptionen zum Erklären von Trainingsanpassungen noch ganz am Anfang stehen. Ein radikales Umdenken in Bezug auf Periodisierung und Planungsgrundlagen scheint insbesondere für Sie als Freizeitsportler ratsam! Die Dosis macht das Gift. Diese einfache Regel gilt nicht nur für Arsen und andere in der Medizin eingesetzte Substanzen. Nein, auch Ihr Training muss wohl dosiert geplant sein, wenn Sie Ihre Leistung langfristig steigern wollen, ohne Überlastungen zu riskieren. Unerklärliche Rückschritte in Ihrer Leistungsfähigkeit, Müdigkeit und Motivationsprobleme können Hinweise auf ein „Zuviel“ an Training sein.
Modelle reduzieren immer!
Der menschliche Körper ist sehr komplex. Viele biochemische Reaktionen dienen als Katalysatoren für Veränderungen und Anpassungen. In der Geschichte der Medizin wurden viele vereinfachende Modelle erstellt, mit denen die Prozesse im menschlichen Organismus erklärt werden sollten. Schon um 1930 wurde der Begriff der Homöstase geprägt, der das „Konstanthalten“ physiologischer Kenngrößen durch körpereigene Regelsysteme beschreiben soll. Bis heute bilden diese Vorstellungen die Grundlagen zum Verständnis von Training. Allerdings zeigen schon Alltagsbeobachtungen, dass im menschlichen Körper keineswegs konstante Bedingungen herrschen. Weder die Atmung noch die Körpertemperatur sind konstante Kenngrößen sondern eher nichtlineare Systeme, die in hohem Maße variabel, aber keineswegs konstant sind. So zeigt sich, dass Grundannahmen, wie das so genannte „Fließgleichgewicht“, mit dem Anpassungen im Rahmen der „Superkompensation“ erklärt werden sollen im Grunde genommen Fehleinschätzungen sind (1).
Ist Training dosierbar?
Zu den Kernproblemen der Trainingslehre gehören die Fragen nach den Umfängen und den Intensitäten im Training. Trainieren Sie „zu wenig“ oder vielleicht „zu viel“? Antworten auf diese Fragen werden leider sehr oft viel zu pauschal gegeben (2). Genau diese Antworten werden jedoch auch oftmals von Sportlern und Trainern eingefordert (2). Dabei wird oftmals ignoriert, dass es beim Training keine Rezepte geben kann, die sich auf alle Sportler übertragen lassen. Zu individuell sind die körperlichen Voraussetzungen und auch die Anpassungsressourcen. Genau diese Annahme wird jedoch vom Superkompensationsmodell konterkariert. Die Erfolgsformel lässt sich in der Sportpraxis nicht aus dem Training eines anderen Sportlers ableiten.
Super die Superkompensation?
Eine Publikationsreihe von Roux3 bildet die Grundlage für das Verständnis von Anpassungen des menschlichen Körpers. Entgegen der landläufigen Meinung handelt es sich dabei jedoch nicht um ein Werk, sondern um eine Reihe verschiedener Publikationen aus den Jahren 1894 – 1905, die sich mit der „Entwicklungsmechanik“ von Organismen beschäftigten. Oftmals wird seine Arbeit als Grundlage für Jakowlevs Übertrag auf die Anpassungen durch Training verkürzt. Jakowlev entwarf auf Basis von Untersuchungen zu einem Enzym im Kohlenhydratstoffwechsel von Ratten ein experimentell überprüftes Modell für Trainingsanpassungen (1). Dieses Modell beschreibt in Kurvenbewegungen den optimalen Zeitpunkt für neue Trainingsreize und eine darauf basierende Leistungsentwickling (2). Betrachtet man das Superkompensationsprinzip detailliert, können Anpassungen an Training mit diesem Ansatz grundlegend nicht beschrieben werden. Da in dem Modell im Zeitverlauf Stationarität vorhanden sein muss, ist die so genannte Homöostase eine Voraussetzung für das Funktionieren dieses Modells. Konstanz in biologischen Systemen gibt es jedoch erst zum Zeitpunkt des Todes. Leben ist geprägt von Variabilität, Abweichung und Sprüngen ohne jede Konstanz. Da die Vorstellung von Homöostase mit der Wirklichkeit menschlichen Sporttreibens nicht in Einklang zu bringen ist, kann Superkompensation nicht beschreiben, wie sich Ihre Leistung durch Training verändert. Ein Modell bleibt ein Modell! Grundlegend muss dem Superkompensationsmodell jedoch in Bezug auf die Sportwissenschaft ein Nutzen zugestanden werden: Auf der Ebene von Simulationen zu Belastungsgrenzen lieferte es wertvolle mathematisch-biologische Hinweise für die Ausgangsüberlegungen. Allerdings wird das Verständnis vom Superkompensationsprinzip vollständig falsch, wenn die Zeitachse auf die Realität übertragen wird. Eine lineare Leistungsentwicklung anzunehmen oder zu extrapolieren, geht an der Realität vorbei! Die Planungslogik, die hinter den modellhaften Annahmen steht, hat für Ihr Training keinerlei Bedeutung.
Ihr Training bestimmt Ihr Training!
Die Vorstellung, dass Ihr Trainingsinhalt anhand des Superkompensationsmodells und der zu Grunde liegenden Annahmen der „Entwicklungsmechanik“ planbar wären, ist falsch. Zu viele Faktoren beeinflussen sich gegenseitig! Kraft, Ausdauer und Koordination passen sich in gänzlich unterschiedlichen zeitlichen Verläufen an und interagieren untereinander. Neuronale Strukturen, muskuläre Strukturen, Enzyme der verschiedenen Formen der Energiebereitstellungen, Ihre Muskelfaserverteilung – all das sind gewichtige Faktoren, die bei der Trainingsplanung als Einflussgrößen bekannt sind. Letztendlich beeinflusst Ihr Training, dass Sie heute durchführen Ihr geplantes Training von morgen und übermorgen. Langfristige Verläufe sind so modellhaft kaum noch abbildbar.
Training wird bestimmt durch Unsicherheiten
Wenn Sie versuchen, Ihr eigenes Training zu planen, werden Ihnen schnell viele verschiedene Fragen begegnen. Umfänge und Intensitäten sind auf Ihren Trainingszustand und Ihr Trainingsziel abzustimmen. Verschiedene Trainingsmethoden können durchaus identische Trainingsanpassungen auslösen. Beispielsweise kann der aerobe Fettstoffwechsel über rein aerobes Training in der Dauermethode ebenso wie über ein hochintensives Intervalltraining gesteigert werden. Wenn Ihr Ziel nun der Start bei einem Marathon sein sollte, sind lange lockere Läufe wesentlich wichtiger, als wenn es Ihnen darum geht eine Trainingseinheit möglichst kurzweilig und unterhaltsam aufzubauen.
Eine qualitative Trainingslehre als Erklärungshilfe
Es kann im Training kein Kochrezept für den bestmöglichen Erfolg geben. Ihr Training ist immer so individuell wie Ihr persönlicher Fingerabdruck. Oftmals ist in diesem Zusammenhang zunächst einmal die Frage nach Ihrem Trainingsmotiv zu stellen. Warum wollen Sie laufen? Warum machen Sie Krafttraining? Welches Ziel verfolgen Sie im Training. Die optimale Dosierung Ihres Trainings ist ganz eng an Ihr persönliches Trainingskonzept zu knüpfen (2)! Allerdings müssen Sie sich in diesem Fall auch bewusst sein, dass der Ausgang eine gewisse Unsicherheit bergen kann. Aus diesem Grund sollten Sie zu Ihrem Training in jedem Fall ein Trainingstagebuch führen. Tragen Sie dort ein, wie Sie sich fühlen und wie ein Training bei Ihnen ankam. Waren Sie besonders müde oder haben Sie sich sehr gut gefühlt. Wie war Ihre Alltagsbelastung? All diese weichen Informationen werden viel zu wenig beachtet.
Fazit
Die physiologischen Abläufe des menschlichen Körpers können nicht mit dem Begriff „Homöostase“ beschrieben werden. Für die Sportpraxis sollte das Superkompensationsmodell und auch der Begriff der Homöostase nicht weiter verwendet werden, da sie in die Irre führen und die Komplexität des Trainings nicht annähernd beschreiben können. Die Variablen, die Ihr Training beeinflussen, schwingen teilweise chaotisch und beeinflussen sich gegenseitig. Dazu kommt, dass die Erholung nach einer Belastung asynchron über verschieden lange Zeiträume andauert.
Tipps für Trainer und Sportler!
– Planen Sie Ihr Training individuell !
– Modelle und Rahmenvorgaben können Sicherheiten vortäuschen !
– Hören Sie auf Ihren Körper und die Signale !
– Sind Sie Trainer, sollten Sie Wert auf eine regelmäßige subjektive Rückmeldung Ihrer Sportler legen !
– Planen Sie Ihre Training anhand physiologischen Wissens und nicht anhand von Modellen
Literatur:
1. Sport und Training aktuell, 2009, (9), S. 6-7.
2. Condition, 2002, (5). S. 34-35.
3. Roux, W. (Hg.): Vorträge und Aufsätze über Entwicklungsmechanik der Organismen. Leipzig 1905.
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