Übertraining erkennen und behandeln. Im Profi-Sport sehen die Experten die größten Reserven im Bereich der Regeneration und Erholung. Das ist ein Bereich, der im Freizeit- und Breitensport meist noch komplett vernachlässigt wird. Dies führt oft zu Übertraining. Von Dr. Till Sukopp
Inhalte:
- Wie entsteht Übertraining?
- Übertraining Symptome
- Schnelltest für Übertraining
- Maßnahmen bei Übertraining
- Experteninterview mit Dr. Lutz Herdener
Übertraining: Regeneration und Erholung beim Sport
Nach acht, neun, zehn oder mehr Stunden bei der gehen viele Menschen noch zum Sport und powern sich voll aus. Regeneration bzw. Erholung werden dann oft gar nicht eingeplant. Doch gerade bei Hobby- und Freizeitläufern im Alter zwischen 16 und 30 Jahren ist dies ein weit verbreiteter Fehler. Das ist kurz gesagt weder gesund, noch bringt es Ihnen die bestmöglichen Trainingsergebnisse.
Wie entsteht Übertraining?
An dieser Stelle möchte ich noch einmal kurz darauf eingehen, was Training eigentlich bedeutet. Letztendlich ist Training ein bewusst ausgelöster Stress im Körper, der dazu führt, dass die vorhanden Strukturen belastet (und auch ein wenig zerstört) werden, um sich im Anschluss neu auf und auf einen höheren Niveau wieder aufzubauen.
Die Regeneration beschreibt letztendlich den Vorgang des Neuaufbaus. Daher ist die Regeneration essentieller Bestandteil jeglichen Trainingsplans! Und diesen Vorgang können Sie durch unterschiedliche Maßnahmen gezielt unterstützen.
Doch dafür müssen Sie jedoch erst einmal für sich erkennen, ob, wann und wie Sie sich von den jeweiligen Trainingseinheiten erholen müssen. Hören Sie nicht auf Ihren Körper, laufen Sie Gefahr, diesen zu Überlasten und negative physische und/oder psychische Implikationen zu erleiden.
Übertraining Symptome:
Im Folgenden stelle ich Ihnen verschiedene Symptome von Übertraining vor, die sowohl von US-Coach Steve Maxwell als auch zahlreichen Athleten aus der ehemaligen DDR beschrieben wurden.
15 Typische Anzeichen von Übertraining
- Herzrasen bzw. erhöhte Herzfrequenz: Messen Sie nach dem Aufwachen Ihre Herzfrequenz. Liegt diese vier oder mehr Schläge höher als gewöhnlich, haben Sie sich entweder schlecht erholt oder es kündigt sich ein Infekt an. Wie Sie Ihre Ruheherzfrequenz ermitteln: Messen Sie eine Woche lang direkt nach dem Aufwachen eine Minute lang Ihren Puls. Notieren Sie die Werte und bilden Sie nach einer Woche den Mittelwert. Sollten Sie direkt nach dem Aufwachen erst einmal auf Toilette gehen, legen Sie sich anschließend fünf Minuten hin und beginnen sie dann mit der Messung.
- Sie haben allgemein Muskelkater oder –schmerzen
- Schmerzende Gelenke
- Ihre Beine fühlen sich „schwer“ an
- Permanente Müdigkeit
- Sie sind leicht reizbar und gestresst
- Sie sind launisch oder etwas depressiv
- Ihr Appetit verändert sich. Entweder Sie essen mehr oder kaum – ein „gestresstes Hormonsystem“ (zu viel Cortisol) kann beides verursachen.
- Sie nehmen plötzlich an Gewicht zu
- Häufige Erkältungserscheinungen und leicht empfänglich für Infekte
- Sie haben akute Krankheiten
- Ihre sexuelle Lust oder Ihr sexuelles Begehren sinken
- Sie erzielen keine Trainingsfortschritte mehr oder ihre Leistungen gehen gar zurück
- Probleme beim Einschlafen
- Sie schlafen in letzter Zeit zu viel bzw. immer sehr lange
Schnelltest für Übertraining
Zudem kann ich Ihnen einen simplen Schnelltest empfehlen: Beginnen Sie einmal mit dem Training, auch wenn Sie an diesem Tag eigentlich nicht danach fühlen zu trainieren. Fühlen Sie sich nach zehn Minuten immer noch nicht besser, beenden Sie das Training und beginnen Sie umgehen mit den unten stehenden Regenerationsmaßnahmen.
Maßnahmen gegen die Symptome von Übertraining
- Treten drei oder mehr der beschriebenen Symptome bei Ihnen auf, sollten auf jeden Fall mehr schlafen und am besten drei Tage auf das Training verzichten!
Wie lange Regeneration nach Übertraining?
- Können Sie sechs oder mehr der beschriebenen Symptome bei sich beobachten, ist eine Trainingspause von mindestens zehn Tagen empfehlenswert. Sie können allenfalls leichte regenerative Tätigkeiten, wie z.B. Spaziergänge durchführen. Zudem sollten Sie auf ausreichend Schlaf achten! Unter dem Strich zeigen Erfahrungen, dass eine trainingsfreie Zeit von zehn Tagen schon extrem viel bewirken kann.
Kaum Leistungseinbußen bei 10 Tagen Pause
Viele Sportler werden jetzt befürchten, dass Sie Muskelmasse und andere hart erarbeitete Effekte verlieren, aber letztendlich ist das Gegenteil der Fall! Denn sollten Sie in einem Übertrainingszustand sein, dann tritt genau das Gegenteil ein und Sie werden nach den zehn Tagen sogar noch leistungsfähiger sein.
Hierzu gibt es Untersuchungen, die an Olympia-Sportlern auf Olympianiveau durchgeführt wurden. Auch nach einem Monat Pause konnte lediglich ein Kraftverlust von 1 % festgestellt werden. Selbst nach zwei Monaten waren es nur 3 %.
– Beobachten Sie bei sich eine erhöhte Ruheherzfrequenz von 4 Schlägen oder mehr, verzichten Sie an diesem Tag auf das Training. Liegt die Frequenz 1-2 Schlägen/min drüber trainieren Sie nur moderat. Bei 2-3 Schlägen mehr sollte höchstens ein leichtes Training durchgeführt.
Fazit
Kurzum: Wenn Sie sich dauerhaft müde fühlen und eine geringere Belastbarkeit oder gar einen Leistungsabfall feststellen, sollten Sie unbedingt über eine ausgedehnte Regenerationsphase nachdenken, da eine Überlastung naheliegt. Schließen Sie dabei immer erst organische Ursachen oder Infekte aus.
Lesen Sie auch: 8 Tipps für eine effektive Regeneration
Interview mit Dr. Lutz Herdener zum Thema Übertraining
Was ist Übertraining?
„Übertraining ist ein verbreitetes Phänomen. Doch trotz verschiedener und langjähriger Forschungsansätze sind die Übertraining Symptome nicht immer eindeutig zu erkennen. Trainer müssen das Problem demzufolge mit viel Fingerspitzengefühl angehen.“
Welche Formen gilt es im Übertraining zu unterscheiden?
„Im Vorfeld gilt es zwei Begrifflichkeiten voneinander zu unterscheiden. Overreaching und Overtraining hängen zwar in der Praxis häufig eng zusammen, sind aber der Literatur voneinander zu differenzieren. Unter Overreaching versteht man die systematische Kumulation von Trainingsreizen mit der daraus resultierenden überproportionalen Superkompensation, wie es beispielsweise bei einem klassischen (Wochen-) Stoßtraining der Fall ist. Dort setzt man mehrere Trainingsreize bewusst nacheinander, ohne dem Sportler eine entsprechende vollständige Regenerationsphase zuzugestehen.
Overtraining hingegen bezeichnet einen Zustand, bei dem die Superkompensation ausbleibt und der Sportler sein ursprüngliches Leistungsniveau nicht beziehungsweise nur ganz langsam wieder erreicht.“
Kann Trainingsmonotonie kann ein Auslöser für Übertraining sein?
„Wichtig ist hierbei das Bewusstsein, dass die Auswirkungen und Ursachen verschiedene Gründe haben können und entsprechend beurteilt und angegangen werden sollten. Denn neben andauerndem Leistungsrückgang zeigen vor allem Antriebslosigkeit im Alltag und geringe Motivation, dass es sich nicht um ein isoliertes Problem handelt, sondern die Problematik auf einer systemischen Erschöpfung des Sportlers beruht. Dabei reicht es häufig nicht aus, Trainingsumfang und -intensität zu reduzieren. Entsprechend den beiden Beschreibungen erkennt man die Gratwanderung und das benötigte Fingerspitzengefühl eines Trainers, Trainingsreize sowohl aus physiologischer als auch aus psychologischer Sicht adäquat zu setzen.
Bezüglich der Entstehung gibt es verschiedene und auch sicherlich parallel stattfindende Prozesse. Ähnlich wie bei den Symptomen können auch die initialen Auslöser unterschiedliche sein. Neben einer psychischen Überlastung, zu vergleichen mit einem Burnoutsyndrom eines Managers, nennt die Literatur aus physiologisch-neuronaler Sicht unterschiedliche Aspekte. Eine entscheidende Rolle scheint dabei die Trainingsmonotonie zu spielen. Studien zeigen, dass bei gleichem Trainingsumfang und bei gleicher Trainingsintensität Übertrainingszustände vermehrt auftreten, wenn sich die einzelnen Trainingseinheiten gleichen. Hier zeigt sich folglich, nicht nur aus Gründen eines optimalen Leistungsfortschritts, die Notwendigkeit einer sinnvollen Trainingsvariation.“
Was sind Anzeichen von Erschöpfung?
„Neben der Trainingsmonotonie hängen Übertrainingszustände häufig mit einer Glykogenverarmung des Körpers zusammen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass vor allem in Verbindung mit einem gezielten Carbo-loading, wie es im Rahmen von Taperingprozessen in den Ausdauersportarten häufig praktiziert wird, der Trainer ganz bewusst auf Anzeichen einer systemischen Erschöpfung achten muss. Aus biochemischer Sicht sind so auch der Abbau von Muskelmasse und eine durch vermehrte Ausschüttung von Serotonin hervorgerufene Antriebslosigkeit zu erklären.“
Woran erkennt man die Übertraining Symptome?
Übertraining Symptome lassen sich auf drei Bereiche definieren!
1. Übertraining Symptome: Physiologische Aspekte
- verringerte Leistungsfähigkeit
- verlängerte Erholung
- anormaler Blutdruck
- Magen-Darm-Beschwerden
- Appetitverlust
- reduzierter Mineralgehalt der Knochen
- Abnahme von Serumeisen
- Müdigkeit
2. Übertraining Symptome: Immunologische Befunde
- erhöhte Infektanfälligkeit
- verringerte Lymphozytenzahl
- Infektionsneigung
3. Übertraining Symptome: Psychologische Veränderungen
- depressive Verstimmungen
- generelle Apathie
- Gereiztheit
- Herzklopfen
- Konzentrationsmangel
- Empfindlichkeit gegenüber externen Reizen wie Lärm oder Licht
Übertraining: Was tun?
Trainingsumfänge und Intensität reduzieren
„Durch den reduzierten Mineralgehalt können auch strukturelle Schädigungen auftreten. Auch die Verschiebung des Testosteron-Kortisol-Quotienten deutet auf tendenziell katabole Prozesse des Körpers hin, wobei man bei der Entwicklung eines Übertrainingszustands aus chronologischer Sicht zwischen einem vorerst sympatikotonen und dem darauf folgenden parasympatikotonen Erscheinungsbild unbedingt unterscheiden sollte. Dies ist auch der Grund dafür, dass sich die Erscheinungsformen nicht zwingend, wie oben dargestellt, zeigen müssen, sondern je nach erreichter Phase zu bewerten sind.
Wird je nachdem ein Übertrainingszustand oder eine entsprechende Tendenz erkannt, sollten aus sportwissenschaftlicher Sicht unbedingt der Trainingsumfang und die Intensität reduziert werden. Zusätzlich sollte der Sportler insbesondere mit Blick auf die psychologischen Komponenten entsprechende Ausgleichsmöglichkeiten zum Training bekommen. Denn häufig begünstigen auch Veränderungen im privaten Umfeld oder dem Arbeitsplatz Übertrainingszustände. Die Aufgabe des Trainers ist somit vielfältig, wenn es darum geht, den Sportler wieder langfristig und nachhaltig an das Training und seine ursprüngliche Leistungsfähigkeit heranzuführen.“
Von und mit Dr. Lutz Herdener
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